
Ossobuco: Faulheit siegt! (Küchen-Kinkerlitzchen 7 von vielen)
Andreas Frank
Veröffentlicht in 1. Juli 2019
Heute geht es ausschließlich um gabelzarte Beinscheibe, mithin um Fleischeslust pur. Und um die in die Jahre gekommene Küchen-Kinkerlitzchen-Reihe. Kleine Rezepte also, die für des Kochzivilisten Hang zur Weitschweifigkeit schlicht nicht genug hergeben, die aber trotzdem so und nicht anders auf den Teller gehören. Und all das sogar ganz ohne Seitenhiebe auf anaerob Denkende (man achte auf die gendergerechte Schreibweise!).
Die letzte Zeile des Intros brachte mich allerdings kurz zu der Überlegung, ob ich wohl „Beinscheibe, die” gendern müsse, also fortan besser Beinscheibe*r texten solle. Nicht nur, weil nicht klar ist und ja auch nicht mehr geklärt werden kann, ob sich das Rindvieh nun männlich, weiblich oder sonst wie fühlte. Sondern auch, um nicht von resoluten Gender-Beauftragten*innen vor des Kochzivilisten Bein gepieselt zu bekommen. (Kochzivilisten ist ein Eigenname. Da muss nix gegendert werden.) Doch zum Glück heisst’s ja DAS Ossobuco. Womit ich hübsch aus dem Schneider bin und Sternchen nur als Fußnoten-Zeichen verwende, wenn überhaupt.
Noch eine kurze Anmerkung zum Ossobuco: Es handelt sich im Folgenden natürlich nicht um die klassische, geschmorte Variante mit viel Gemüse, kräftigem Anbraten und einer dicken Soße zum noch dickeren Kartoffelstampf. Zum einen, weil das alles andere als faul wäre – die Challenge dieses Beitrags. Zum anderen, weil ich das hier gerade bei gepflegten 36 ° Außentemperatur tippe. Da is einem nicht so nach botter Soße, sondern eher nach leicht. Soweit jedenfalls, wie eine Beinscheibe das zu lässt.
Gerätschaft:
- Einen mächtig großen Bräter / Bratreine mit Deckel, alternativ Alufolie statt Deckel. Anmerkung: Da wir hier nur mit einer Temperatur von 120 °C arbeiten – im Backofen und ohne vorheriges Anbraten –, tut’s auch ein preiswertes, Hauptsache großes Teil.
- Einen großen Steinmörser für die weichen Zutaten der Würzpaste,
- eine kleine Elektro-Kaffeemühle für die harten Gewürze und
- selbstverständlich die obligatorische Löffelwaage, es sei denn Käse-Fondue für 100 Mann entspricht eurer üblichen Küchenplanung.
Hauptzutaten:
- 2,6 – 2,8 Kilo Beinscheibe vom Kalb für vier Personen. Das sind zwei ordentliche Kalbsbeinen wie im Bild gezeigt. Und ja, da es nur ein paar sehr aromatische, mit zwei Stücken Kalbsmark sous-vide gegarte Kartöffelchen dazu gab, braucht’s schon die Menge. Es war wirklich nichts mehr übrig – bei drei sportlich-zierlichen Damen und mir (bekennend unsportlich und infolge dessen auch eher unzierlich). Allerdings beschränkte sich die Vorspeise auf einen ordentlichen Drink. Wie gesagt: Faulheit siegt!
- 1 kg Le Ratte (NICHT im Bild.) Das Foto zeigt diese violetten, roh angeschnitten ungemein dekorativ aussehenden Kartoffeln, die bei jeder Form der Zubereitung gleichmäßig fahl-lila werden und hinterher recht untot auf dem Teller dümpeln. Farblich so zwischen Zombie und Dracula, geschmacklich hingegen deutlich lebhafter.
- 2 Stk. Mark: Und zwar das Mark der jeweils ersten, dicksten Beinscheibe, also zwei bei zwei Beinen. Die solltet ihr übrigens auch dann entfernen, wenn ihr das Mark nicht direkt verwendet, weil sonst der Bratensaft des Ossobuco zu fettig wird.
- ½ fein geriebene Muskatnuss. Mindestens, besser mehr!
- 1 Zweig Rosmarin
- Kochzivilistenpfeffer und Salz
- KEINE Butter, dafür ist ja das Rindermark da!
Würzpaste
Trocken rösten (nur ein kleines bisschen)
- 1,5 g Zimtblüte [oder 1,0 g Zimtrinde]
- 0,8 g Sternanis
- 1,3 g Wacholderbeeren
- 1,7 g Muskatblüte
Mahlen und mörsern. Und zwar so gründlich, dass Tomatenflocken bzw. getrocknete Tomaten, Knoblauch und Cranberrys nicht mehr zu erkennen sind.
- 8 g Kochzivilsitenpfeffer [alternativ: 6,4 g Tellicherry-Pfeffer + 1,6 g Piment]
- 13 g Senfsaat
- 27 g Tomatenflocken (getrocknete Tomaten)
- 4 g Sumach (gibt dem ganzen ein wenig Säure und damit Leichtigkeit)
- 17 g Salz
- 9 g Knoblauch, frisch
- 30 g getrocknete Cranberrys
- 30 g Sesamöl, dunkel, also aus gerösteter Sesamsaat
- 10 g Chinkiang-Essig, schwarzer chinesischer Essig. Auch sonst eine Bereicherung für die Küche.
Die Cranberrys geben einen Hauch Süße und Frucht und sind zusammen mit den getrockneten Tomaten später nicht mehr identifizierbar, was unbedingt gewollt ist. Sumach sorgt für genau die Säure, die beim klassischen Schmoren der Schuss Wein addiert. Sesamöl, dunkel, sorgt für ein paar Röstaromen ohne Anbrat-Sauerei in der Küche. Wie gesagt: Faulheit siegt!
Der Rest ist Geschmacksache. Etwas mehr Zimtblüte und Sternanis könnten passen.
Zubereitung:
Gewürzpaste: Die angerösteten Gewürze und alles von Pfeffer bis Salz könnt ihr vorab in einer Gewürz(Kaffee)mühle pulverisieren. Das erspart Muskelkraft am Mörser. Diese Komponenten plus aller anderen Zutaten kommen dann in den Mörser. Ziel ist kein grobes Gebrösel, sondern eine möglichst feine Paste, weil man später so darauf verzichten kann – Faulheit siegt! –, den Bratensud von groben Cranberry‑, Tomaten- oder Knoblauchstückchen befreien zu müssen.
Ossobuco: Keine einzelnen Scheiben, sondern ganze Beine: Knochen gesägt aber Fleisch an der Unterseite nicht durchgeschnitten. Die Beinscheiben werden so aufrecht und nicht flach nebeneinander liegend gegart, was logischerweise Platz im Pott spart.
Würzpaste zwischen die Ossobuco-Scheiben pappen. Pappen, weil sich die feste Paste nur schwer einreiben lässt, was aber nichts macht. In den nächsten Stunden verteilt sich das alles ganz prima.
Bei 2,6 bis 2,8 Kilo reichen übrigens ½ bis ⅔ der Paste. Der Rest hält sich ziemlich ewig im Kühlschrank. Weiteres Würzen ist damit komplett unnötig. Faulheit …
Ossobuco NICHT anbraten. Bräter mit Fleisch und Deckel einfach in den Backofen schieben, auf 120 °C aufheizen und für 6 ½ bis 7 Stunden vergessen.
Die leeren Knochen der zwei vorderen, größten Beinscheiben entsorgen. Restliches Fleisch von den mit Mark gefüllten Knochen zupfen und alles im Bräter auf den Tisch stellen.
Ein Bund Petersilie fein hacken, trocken mit einem Teelöffel Sumach mischen (auch hier lohnt die Säure des Sumach) und über die gabelzarten Beinscheiben streuen.
Dazu Kartoffeln, egal ob sous vide, gegrillt, gebraten, gekocht, frittiert, gestampft oder sonst wie …. Hauptsache die Beilage saugt den famosen Bratensaft auf. Alternativ geht auch der ganz grobe, nicht geschrotete Bulgur, so man davon 1 Stunde vor fertig ein Schälchen in den Bratensaft des Ossobucos kippt.
Bei uns gab’s jedenfalls sous vide gegarte Kartöffelchen, blöderweise die lilafarbenen. Zusammen mit dem Rindermark der ersten zwei Beinscheiben, Salz, Pfeffer, einem Rosmarinzweig und einer ordentlichen Portion Muskatnuss (½ oder mehr darf es schon sein) nach 2 Stunden bei 80 °C geschmacklich ne Wucht, optisch eher ein Desaster.

Hätte man das besser machen können?
Geringfügig. Dafür aber mit erheblich mehr Anbrat- und Schnippel-Gedöns, also mit völlig unfaulem Küchenverhalten. Und wer auf die Paste verzichtet und konventionell würzt oder die schon ein paar Tage vorher fabriziert, kommt mit unter 5 Minuten Vorbereitungszeit aus. Ein unschlagbares Aufwand-Ergebnis-Verhältnis. Nicht zuletzt, weil das viele Kollagen der Beinscheibe eben erst dann zu saftiger Gelatine schmilzt, wenn man dem bei wenig Hitze viel Zeit lässt (hier ein hübscher Beitrag zum Thema). Faulheit ist in diesem Falle also äußerst förderlich.
Und wer nun doch eher an den botten Klassiker heran kommen will: Den Bratensud zur Soße anzudicken und noch ein wenig Polenta zu rühren, zu rühren und nochmal zu rühren, sollte wohl kein Problem sein. Es sei denn, die Faulheit …
Mit Tag(s) versehen: Beinscheibe, Cranberrys, Faulheit, Kollagen, Ossobuco, Sumach
Leider komm ich zu selten ab Kalbshaxen.…. dafür schlummert noch reichlich Reh im Eise. Mal schauen was sich damit Faules anstellen läßt.
Christine, das hier ist zwar weder faul noch sommerlich, aber trotzdem nett: https://kochzivilisten.de/2016/01/15/sous-vide-sauerbraten/
Übrigens ganz ohne Sous-Video-Equipment ;-)