
Sous-vide-Sauerbraten vom Hirschkarree mit Zimt, Kardamom und Nelke.
Andreas Frank
Veröffentlicht in 15. Januar 2016
Obacht: Der folgende, postweihnachtliche Artikel ist partiell politisch unkorrekt. Handelt er doch weder von Tierteilen, die zum aktuellen Nose-To-Tail-Trend passen, noch geht es um fairgetradegeselbstgesammelte Kräuter (obwohl ich später ja vielleicht noch die Lammklöten-Story erzählen könnte). Vielmehr verbiege ich im Folgenden feinstes Hirschkarree zu Sauerbraten – passend zu Tinas und Zoras Blog-Event Zimt, Kardamom und Nelke. Und bei der Interpretation des rheinischen Kneipenklassikers Himmel un Äd wird Blutwurst in eine Ravioli gezwungen (und dann auch noch mit Safran gepimpt).
Der Mangel an Teller-Bildern in diesem Beitrag ist übrigens kein verkapptes Statement gegen Food Porn. Ich habe lediglich verpennt, das Ei-Pfoon über die fertigen Teller zu halten. Aber, ach, ist das geschriebene Wort nicht immer auch ein Stückchen Phantasie und Kopfkino und hätten die geschätzten Mitesser am Tisch nicht EINFACH AUCH MAL KNIPSEN KÖNNEN!? Jetzt aber in medias res:
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Sous-vide-Sauerbraten vom Hirschkarree

Hirschkarree bzw. ‑rücken ist per se zart und braucht so gesehen natürlich keinen Sauerbraten-Sud, um genießbar zu werden. Weswegen so ein Hirsch im Gegensatz zum klassischen Sauerbraten aus Rind oder Pferd auch nur 24 bis 28 Stunden statt 5 bis 7++ Tagen im Rotwein-Essig-Mix rumlümmelt. Damit dringt die würzig-saure Marinade nur 5 bis 8 Millimeter tief ein und der Rest behält sein unverfälschtes Hirscharoma.
Neben dieser Kurzzeit-Einlage ist bei Hirschkarree bzw. ‑rücken noch eines entscheidend: Sanftes Garen bei Niedertemperatur, sonst liegt Wild ganz schnell staubtrocken und mehlig auf der Zunge, was selbst bei relativ preiswerten neuseeländischen Zuchthirschen eine Schande wäre. Insofern empfiehlt sich unbedingt …
35 Minuten vorgaren in der Sous-vide-Tüte

Dazu den 24 Stunden bei Zimmertemperatur im Sauerbraten-Sud eingelegten Hirsch ein Stündchen bevor gegessen wird aus der Marinade fischen, trocken tupfen und in die Vakuumtüte schubsen. Sud durch ein feines Sieb auffangen, denn ohne den keine Sauce und ohne Sauce kein Sauerbraten!
Der sonst beim Marinieren oder beim kurzen Sous-vide-Garen durchaus probate Gefrierbeutel reicht beim Karree wegen der scharfkantigen Rippchen nicht aus (Rücken ohne Knochen funktioniert natürlich). Dafür kann man mit etwas Puste beziehungsweise Sauge durchaus auf den Vakuumierer verzichten. Wichtig ist schließlich nur, dass Gargut und Wasserbad mit so wenig wie möglich isolierender Luft dazwischen in Kontakt kommen, weil Luft eben ein ganz miserabler Wärmeleiter ist. Und auch wenn beim Sous-vide-Garen immer wieder der Begriff Vakuum auftaucht: In einer flexiblen Plastiktüte entsteht kein Vakuum, sondern maximal Luftleere. Für echten Unterdruck braucht´s ne Dose, was aber nix mit Sous-vide zu tun hat (dafür aber wohl das Marinieren von Grillfleisch beschleunigt, hab ich mal gehört).
Backofen auf 60 °C bringen (ggf. mit Backofen-Thermometer kontrollieren), Wasser im Topf auf 62 °C aufheizen (ein digitales Fleischthermometer zur Kontrolle hilft hier ungemein). Den luftleer gesaugten Fleischbeutel ins Wasser legen und Topf mit Deckel in den warmen Backofen verfrachten. Nach 35 Minuten ist die Wassertemperatur wegen des anfänglich ja nur zimmerwarmen Hirschkarrees auf 57 °C und damit auf die optimale Kerntemperatur für Wildrücken oder Karree gefallen. Und nein: Dafür braucht man echt kein teures Sous-vide-Gerät – versprochen!
Vorteil dieses Prozederes: Heißer und damit garer wird´s nicht. Verzögerungen im Küchen-Timing machen also wenig bis gar nichts. Nicht zuletzt, weil die so vorgegarten Karree-Stücke vor dem Servieren noch einmal auf allen Seiten für 2 – 3 Minuten bei E‑Herd-Stufe 6 von 9 angebraten werden. Weitere Sous-vide-Klugscheißereien kochziviler Natur gibt´s hier und richtig professionell hier.
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Zutaten Sauerbraten-Sud
Die folgenden Mengen gelten für 2,1 bis 2,6 kg Hirschkarree (7 bis 9 Portionen jeweils zwei Rippen breit) oder eine vergleichbare Menge Rind oder Pferd. Letztere aber bitte je nach Durchmesser der Teile 6 bis 7 Tage oder länger im Sud veredeln. (Als Richtwert gilt nach meinen Erfahrungen eine Eindring-Tiefe der Marinade von maximal einem Zentimeter pro Tag).
Ungeröstete Gewürze
- 8 Stk. Lorbeerblätter, frisch
- 1,8 g Wacholderbeeren
1 Stk. Rosmarin-Zweig (ca. 15 cm)
- 7,5 g Tellicherry-Pfeffer
- 2 g Ingwerpulver (hatte keinen frischen mehr, könnte mir aber vorstellen, dass man da gute 2 cm braucht)
- 18 g holländischer Basterd Suiker oder Muscovado
- 20 g Salz
Zu röstende Gewürze
2,1 g Koriandersaat
- 1,2 g Macis (Muskatblüte)
- 0,6 g Kardamom
- 0,6 g Zimtblüte (ca. 15 Stk.)
- 1,2 g Zimtrinde
- 1 g Piment
- 2 Stk. Nelke
- 8 g Senfsaat (4 g schwarz bzw. braun + 4 g weiß bz. gelb)
- 1 g Sternanis
Sud
1,5 Liter Merlot (z. B. von Yellow Tail)
- 300 ml Himbeeressig (6%)
- 180 g Esterhazy (Lauch, Sellerie und Möhren fertig geschnippelt in der Tüte)
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Zubereitung Sauerbraten-Sud:
Die zu röstenden Gewürze in einer trockenen, unbeschichteten Pfanne ohne Öl so lange auf ⅔ der Maximal-Temperatur anrösten, bis das Zeugs ordentlich zu duften beginnt. Zusammen mit den nicht zu röstenden Gewürzen in den Rotwein-Himbeeressig-Mix kippen und kurz aufwallen lassen. Esterhazy rein, auf Zimmertemperatur abkühlen und über´s Fleisch kippen. (Wie gesagt: Gefrierbeutel ist ob der spitzen Rippen nicht stabil genug.) Falls ihr statt Tüte eine Schüssel verwendet: Fleisch muss ganz bedeckt sein.
Weiter siehe oben: 35 – 40 Minuten „Vor-Garen” in der Vakuumtüte
Zubereitung Sößchen

Blitzblätterteig-Schälchen für die Sauerbratensauce
Ich habe vor einige Jahren mal einen wunderbaren Hirschrücken mit Knochen erstanden, selbst ausgelöst und aus Knochen und Abschnitten mit viel Zeit und Liebe einen tollen Fond geköchelt: Bei einem Sauerbraten-Sößchen alles Quatsch. Gönnt euch die Convenience von 400 ml handelsüblichem Wildfond und gut is. Schließlich kommt da noch mindestens die gleiche Menge an Sauerbraten-Sud hinzu – plus einer ½ Packung Lebkuchen (der ohne Schokoüberzug) und 1 – 2 Teelöffeln von Ingo Hollands genialer Mole. Stabmixer reinhalten und anschließend langsam auf ⅓ der ursprünglichen Menge reduzieren. Dank des Lebkuchens sollte die Sauce fein sämig sein. Die letzten 2 Minuten noch eine Hand voll getrockneter Cranberrys mit ziehen lassen und final mit Salz und Zucker abschmecken. Fertig.

Zum frisch gebräunten Hirsch und als sahniger Kontrast zur Sauerbratensauce (im Blitzblätterteig-Schälchen) gab es einen Löffel Rahm-Wirsing. Im Bild sind Kartoffeln und Wirsing noch getrennt. Wie gesagt: Teller-Bilder habe ich verpennt.
Wer oben vergessen hat auf „Zimt, Kardamom und Nelke”, dem Blog-Event von Tina und Zora zu klicken, dem sei das hier noch einmal eindringlich empfohlen. In den Kommentaren weiter unten auf der Seite findet ihr jede Menge grandiose Rezepte zum Thema.
Zum Schluß und nur kurz skizziert eine wirklich gelungene Neuinterpretation des gutbürgerlichen Küchenklassikers Himmel un Äd. Das hat zwar nicht mehr mit dem Blog-Event zu tun, war aber trotzdem saulecker.
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Blutwurst-Ravioli in einer leicht scharfen Safran-Kartoffelsuppe mit beschwipsten, karamellisierten Äpfeln und selbst gemachten Röstzwiebeln.
Boskoop schälen, achteln und min. 8 Stunden in einer Mischung aus Port, Whisky und ein wenig Zitronensaft einlegen.
Normale Zwiebeln in Scheiben schneiden, mit ein, zwei Esslöffeln Mehl in eine Tüte packen, gut schütteln und die so mehlierten Zwiebelringe in Butterschmalz oder neutralem Keimöl sanft und in kleinen Portionen mit viel Platz in der großen Pfanne bräunen. Bei 120° C im Backofen noch etwas nachtrocknen, während die nächste Fuhre in der Pfanne brutzelt. (Kann man übrigens prima schon einen Tag zuvor erledige.)
Geräucherte Blutwurst durch den Fleischwolf drehen und wie jede Ravioli-Füllung extra pikant abschmecken: mit Salz, reichlich Kochzivilistenpfeffer und dem Mark einer halben Vanilleschote.
Nudelteig aus 500 g Semola di grano duro, 20 g Salz, 62 g Olivenöl, 220 g Wasser und Null Eiern zubereiten. Warum keine Eier steht hier.
Aus mehlig kochenden Kartoffeln und Kalbsfond ein Kartoffelsüppchen zubereiten. Mit Chili-SOUR® und Safran verfeinern.
Weißen Zucker trocken in einen Topf geben (Boden soll knapp bedeckt sein) und auf E‑Herd-Stufe 8 von 9 schmelzen bzw. karamellisieren. Nicht im Topf rühren, sondern Topf nur schwenken. Die abgetropften, beschwipsten Apfelschnitze in den flüssigen Karamell kippen (Achtung: kann spritzen), Topf vom Herd nehmen und so lange rühren, bis sich der durch den Temperatursturz erhärtete Karamell (weitestgehend) gelöst hat bzw. bis die Äpfel von einer Karamellschicht bedeckt sind. In einem separaten Schälchen zur Kartoffelsuppe mit Blutwurst-Ravioli servieren. Ach ja: Und die Röstzwiebeln nicht vergessen.
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Da das ein echtes Highlight war, werde ich die Tage wohl noch mal ein anständiges Rezept nachreichen. Vielleicht mal ganz ohne Gesabbel drumrum, dafür aber mit echten Teller-Bildern.
Mit Tag(s) versehen: Blutwurst-Ravioli, Chili-SOUR, Gewürzmischung, Himmel un Äd, Hirschkarree, Hirschrücken, Löffelwaage, Rahmwirsing, Safran, Sauerbraten einlegen, Sauerbraten-Sud, Sous-vide, Vakuumgaren, Wild
Hallo,
danke für das Rezept! Der Sauerbraten ist wirklich toll gewürzt ;) Was eignet sich gut als Beilage??
Viele Grüße!
Rahm-Wirsing, wie man im Beitrag lesen kann ;)
Super, vielen Dank für die Inspiration! Zur Zeit bin ich auf der Suche nach Alternativen zur klassischen Sauerbraten Zubereitung und dein Gericht klingt einfach köstlich!!
Dankeschön. Und bei aller (nicht vorhandenen) Bescheidenheit: das war es auch ;-)
Du bringst mich auf Ideen! Der nächste Sauerbraten – vom Pferd natürlich – kommt in die Tüte ;-)
Herzlichen Dank für’s Mitmachen,
Tina
War mir ein Vergnügen. Und es sind echt geile Rezepte zusammen gekommen.
Um die Ravioli etc.-Bilder würde ich auch höflichst bitten, hat die viele Vanille sehr dominiert?
Und was ist jetzt mit den Lamm-Klöten? ;)
Mpf … wie gesagt: verpennt zu knipsen. Aber Nudel-Bilder gibt´s auch noch hier und hier und nicht zuletzt hier.
So eine geräucherte und dann auch noch nachgewürzte Blutwurst kann schon was ab, weswegen man tatsächlich nur einen Hauch Vanille erahnen konnte. Und die Lammklöten-Story reiche ich bestimmt noch mal nach ;-)
Hirsch! Sauerbraten! Gar köstlich… nur die Tüte, die betrachte ich mit einer gewissen Skepsis.
Die Tüten, die ich so im Gebrauch habe, sollen angeblich 4 h bei 100 °C aushalten. Insofern ist das Risiko bei 35 Minuten und 60 ° hoffentlich nicht all zu groß. Weisst du mehr zu dem Thema?
Ein Thema während des Studiums waren auch Verpackungen- jeder Kunststoff gibt Dinge an seine Umgebung ab, in der Wärme noch mehr. Ab und zu ist die Belastung dadurch sicher kein Thema- andrerseits, wieviel von dem was wir essen ist in Kunststoff verpackt- und tatsächlich verifizierte Belastungsgrenzen gibt es noch nicht. Wir sind die Versuchskaninchen für diesen Massentest.